Alles andere als selbstverständlich
Billy Joels „Piano Man“ läuft an diesem Vormittag im Radio. Vier Frauen sitzen an ihren Nähmaschinen vor der großen Fensterfront im zweiten Stock. An einer Wäscheleine quer durch den großen Raum, in dem sonst unter anderem Grußkarten und Adventskränze entstehen, hängen die vier Muster. Eine Tasche in zwei unterschiedlichen Größen, dazu ein Mäppchen und ein Kissen. Es sind die neuen Produkte unserer Upcycling-Kollektion. Sie werden nicht irgendwo oder von irgendwem aus unseren drei Trikotvarianten der vergangenen Saison gefertigt. Sie entstehen in der Werkstatt der Gemeindediakonie Mannheim auf der Mallau nur unweit der SAP Arena. Geschneidert werden sie mit höchster Akribie von Teilnehmerinnen der beruflichen Bildung.
Provokant formuliert ist es vielleicht ein notwendiges Übel. Als gesunder Arbeitnehmer, als ein produktives und vollintegriertes Mitglied der Gesellschaft, macht man sich selten Gedanken über die alltäglichsten Dinge. Über die Dinge, die als selbstverständlich angesehen werden dürfen. Die vielleicht sogar als selbstverständlich angesehen werden müssen, da oftmals die Ressourcen gar nicht ausreichen, um sich ständig über alles Gedanken zu machen, immer alles zu hinterfragen. Und obwohl man sich hin und wieder dabei ertappt, von der Routine gelangweilt zu sein und akute Unlust auf den eng getakteten Tagesablauf verspürt, so gibt der Alltag doch eine gewisse Struktur, eine Ordnung. Das Gefühl, immer wieder gebraucht zu werden, etwas Sinnvolles mit sich, seiner Zeit, seinem Leben anzufangen. Soziale Integration gibt Halt, Rückendeckung, Unterstützung. So auch im Job. Letztlich selbstbestimmt gehen wir einer Tätigkeit nach, die unseren Fähigkeiten, Anforderungen und Wünschen am nächsten kommt. Mit der finanziellen Entlohnung bestreiten wir das Leben, gönnen uns hin und wieder ein paar Annehmlichkeiten.
Doch dieser Grobabriss einer uns nur zu gut bekannten Lebensweise ist bei weitem nicht für alle der normale Gang der Dinge. Menschen mit eingeschränkten kognitiven oder körperlichen Fähigkeiten leben ein anderes Leben, haben mit anderen Herausforderungen zu kämpfen. Manchmal jedenfalls. „Wir versuchen unseren Beschäftigten ein so normales Leben wie möglich zu schaffen. Das beginnt beim Thema Wohnen, zieht sich durch soziale Beziehungen bis hin zum Berufsalltag“, beschreibt Antonia Lesle, Geschäftsbereichsleitung Berufliche Bildung, das zentrale Anliegen der Diakoniewerkstätten Rhein-Neckar. Der Berufsbildungsbereich versteht sich demnach als berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben. „Je nach Grad der Behinderung versuchen wir für jeden das Passende zu finden und individuell für eine wertschöpfende Tätigkeit vorzubereiten“, führt Lesle weiter aus.
Teils unerwartete Hürden
Die Hürden, die es dabei zu meistern gilt, sind vielfältig und teils unerwartet. „Das beginnt in manchen Fällen beim Transport zu den Werkstätten oder zu ausgelagerten Arbeitsplätzen und endet mit vermeintlich ganz banalen Themen wie beispielsweise der Kommunikation. Denn auch wenn es sich nicht um einen sozialversicherungspflichtigen Job handelt, sollen unsere Mitarbeiter in einem produktiven Umfeld ihre Stärken und Wünsche entfalten können. Dafür brauchen sie aber ebenso wie alle anderen Arbeitnehmer Anweisungen, Rückmeldung und manchmal eine Erinnerung, dass die Arbeit erledigt werden muss“, so Lesle. Grundsätzlich findet diese berufliche Bildung in fünf Bereichen statt: der Hauswirtschaft, der Montage, der Ideenwerkstatt mit Holz und Metall, dem Recycling und der kreativen Arbeit mit Stoff und Papier. Dass die Werkstätten ein Erfolgsmodell sind, unterstreichen zahlreiche Beispiele. Die späteren Tätigkeitsfelder sind ebenso zahlreich – ob als Lagerist, in der Stanzerei, im Hotel- und Gastrogewerbe, der Landschaftspflege oder der Verwaltung.
Oder eben in den Werkstätten selbst. Als kreativer Kopf. Als Näherin für unsere Upcycling-Kollektion beispielsweise. Unter den Augen von Jutta Ebel, Gruppenleiterin der Kreativwerkstatt, wird fleißig aufgetrennt, zerschnitten, neu vernäht, ausgekleidet. „Es ist beeindruckend, mit welcher Präzision und Perfektionen die Vier an die Sache herangehen. Und mit welcher Freude“, ist Ebel von ihren vier Damen begeistert. „Der Spaß an der Sache ist ihnen anzusehen und es macht uns alle auch durchaus stolz, diese Produkte für die Adler zu fertigen“, ergänzt Ebel. So werden hier aus alten T-Shirts kurzerhand Tascheninnenfutter. All die Ideen zur neuen Upcycling-Reihe entstanden dabei durch gemeinschaftlichen Austausch unseres Merchandise und den Werkstattmitarbeiterinnen. Keine hochindustriellen oder maschinellen Blaupausen also. Auch keine langen Transportwege. Alles lokal und aus einer Hand – oder besser aus zehn Händen.
Erkenntnisbringend
„Es gibt derart viele Möglichkeiten und Ansätze, sich nachhaltig zu engagieren, sich für Inklusion stark zu machen, auf ein allumfassendes Miteinander zu setzen. Dass wir in diesem konkreten Fall einerseits aus alten Textilbeständen neue Produkte fertigen und diese zusätzlich lokal und von einer ganz bestimmten Personengruppe produziert werden, ist eine perfekte Symbiose. Darüber hinaus öffnet der Austausch mit Einrichtungen wie der Diakonie einfach den eigenen Horizont. Man bekommt einen Blick über den Tellerrand, über das eigene Alltagsgeschäft hinaus. Diese Sensibilisierung stellt eine unglaubliche Erfahrung dar“, ist die Zusammenarbeit mit der Werkstatt für Youri Ziffzer, Referent der Geschäftsführung, eine erkenntnisbringende und durchweg positive Sache.
So sitzen an diesem Vormittag im Oktober vier Frauen unter Anleitung von Frau Ebel an ihren Nähmaschinen vor der großen Fensterfront im zweiten Stock der Diakoniewerkstatt. Fäden werden eingespannt, Reisverschlüsse eingenäht und am Ende alles auf Funktionalität geprüft. Vier fleißige Damen, die aus unterschiedlichen Gründen auf dem allgemeinen und für uns so selbstverständlichen Arbeitsmarkt wohl nur eine kleine Chance hätten, machen hier aus alten Trikotbeständen neue Produkte. Schön, dass es diesen Ort gibt. Und die Menschen, die etwas weniger als selbstverständlich ansehen und sich mit viel Hingabe und Geduld einer tollen Sache widmen.
Die neuen und limitierten Upcycling-Produkte findet ihr ab sofort in unserem Shop an der SAP Arena sowie im WHISTLE Fanwear.Tickets (Q 6 / Q 7). Weitere Produkte werden voraussichtlich Anfang 2026 veröffentlicht. Schaut gerne vorbei und überzeugt euch selbst. Wir freuen uns auf euren Besuch.



